„Jede Führungskraft auf Social Media ist ein Storyteller“
Erster Teil des Gesprächs mit Thomas Wendt
Thomas Wendt ist Human Resources Director dentsu Deutschland & DACH. Im ersten Teil unseres Gespräches reden wir über über Employer Branding, Führungskräfte als Storyteller und warum eine gute Führungskraft nicht die beste Fachkraft sein muss.
Über Thomas Wendt
2021 ist Thomas Wendt bei dentsu an Bord gegangen und arbeitet seitdem mit an der strikten Transformation der Agenturengruppe.
Davor war Thomas fast dreißig Jahre in führenden HR-Positionen beim Medienkonzern Axel Springer, zuletzt als Head of HR News Media Print National.
Oliver: Hallo Thomas, was war die kurioseste Bewerbung, die du je erhalten hast?
Thomas: Hier fallen mir zwei Bewerbungen ein. Vor 16 Jahren, damals hatten Handys noch keine richtige Videokamera und es gab nur diese kleinen Vado Pocket Cams, bekam ich bei Springer meine erste Bewerbung für Bewegtbild. „Alles muss Bewegtbild werden“, sagte der Bewerber und er sollte absolut Recht behalten. Das ist in der Rückschau schon bemerkenswert.
Als Gegenteil davon: Vor acht Wochen sendete ein Kandidat seine Bewerbung per Post – für ein Digitalteam! Da war ich doch sehr erstaunt und ich habe mich gefragt, ob er sich überhaupt damit auseinandergesetzt hat, wo er sich da bewirbt.
Oliver: Du hast gerade deine Vergangenheit bei Springer angesprochen. Wie unterscheiden sich Springer und dentsu bei Recruiting und Employer Branding?
Thomas: Bei Springer haben sich die Marken sehr stark unterschieden. Der Stil der Medien hat dort teils vorgegeben, wer sich bewirbt und wer in die Redaktionen passt. Auch war die Zeit eine andere. Auf eine offene Stelle bewarben sich hunderte Personen. Das hat sich heute gedreht.
Es war noch nie so einfach einen Job zu finden. Junge Leute, aber auch die etablierten Fachkräfte, wollen wissen, wofür steht das Unternehmen? Passt das Unternehmen zu mir? Einmal fragte mich Kandidat, ob Dienstwagen angeboten werden – nicht, weil er einen haben wollte, sondern weil er aus Nachhaltigkeitsgründen Unternehmen mit Dienstwagen ablehnt.
Durch den grundsätzlich angespannten Personalmarkt spielt Employer Branding bei dentsu eine riesige Rolle – nach außen wie nach innen. Nicht alle unsere Agenturen sind hierbei etabliert.
Oliver: Vor kurzen sagte mir ein Kandidat eine Stelle ab, nachdem er sich die Webseite des Mandanten angeschaut hatte mit der Begründung: „Im Vorstand sitzen nur alte weiße Männer. Auf so ein Unternehmen habe ich keine Lust.“
Thomas: Genau, die Leute achten darauf: Wie divers und nachhaltig ist das Unternehmen. Aber auch Geld ist der jungen Generation wieder wichtig, genau wie Sicherheit: Bei Corona haben viele gesehen, dass große Unternehmen Mitarbeitende in Kurzarbeit schickten oder Start-Ups schnell gescheitert sind. Das hinterlässt Spuren und wird in die Bewertung von Unternehmen als potenzieller Arbeitgeber mit einbezogen.
Oliver: Ich übernehme kein Mandat mehr, ohne das Unternehmen auf diese Faktoren zu prüfen und spreche sie auch bei meinen potenziellen Auftraggebern an: Wie ist dein Employer Branding? Wie sind deine Bewertungen auf kununu? Und ich höre mich auch in meinem Netzwerk um, wie das Image des Unternehmens ist, wenn ich es nicht selbst schon weiß. Ohne eine gute Außendarstellung bekommst du niemanden mehr, außer du bezahlst abstrus hohe Gehälter.
Thomas: Ja, genau! Wie bei einem Restaurant. Du schaust dir die Bewertungen an und gehst natürlich zu dem mit 4,8 Sternen, nicht mit dem zu 3,9. Als Arbeitgeber ist es wichtig, die Bewertungen bei kununu und Co. nicht zu ignorieren. Nicht jede Kritik wird im Exit-Interview angesprochen. Man kann bei kununu ja auch in die Diskussion gehen und sagen, wir sehen das anders, weil … das zeigt auch, dass sich der Arbeitgeber wirklich Zeit nimmt und sich mit Kritik auseinandersetzt.
Oliver: Du bist auf LinkedIn sehr aktiv. Wie viel Employer Branding steckt hinter deinen Aktivitäten dort?
Thomas: 20 Prozent sind einfach Spaß haben, der Rest ist – spaßige – Arbeit. Jede Führungskraft auf Social Media ist ein Storyteller. Als Executive ist es unsere Aufgabe, das Interesse von Leuten für das Unternehmen zu wecken. Ich mache das gerne über die Themen Inklusion und Diversität, weil mir die einfach sehr am Herzen liegen. Man greift auch einmal daneben, aber das gehört dazu und eröffnet Diskussionen. Bei dentsu bauen wir gerade eine Recruiting-Strategie für LinkedIn auf. Es ist aktuell einfach der wichtigste Kanal, der uns massiv hilft, uns als Arbeitgeber für Führungskräfte zu positionieren.
Oliver: Leider ist es auch sehr zeitintensiv. Als ich beispielsweise mein Interview mit der Horizont gepostet habe, kamen 50 Nachrichten von Personen, die sich mit mir zu den Themen austauschen wollten.
Thomas: Das LinkedIn als Vertriebskanal genutzt wird, finde ich okay. Ich antworte dann immer höflich, dass ich an keinem Verkaufsgespräch interessiert bin.
Oliver: Führungskräfte als Storyteller hast du angesprochen. Was müssen Führungskräfte können und wer wird zur Führungskraft?
Thomas: Das hat sich dramatisch verändert. Als ich meine Karriere begonnen habe, sind diejenigen Führungskraft geworden, die die besten waren in ihrem Fach. Die konnten dann oft vieles sehr gut, aber nicht führen. Aber: Es sollte nicht zwingend der beste Redakteur Ressortleiter werden. Dann muss er sich nämlich mit Dienstplänen beschäftigen und macht nicht das, was er am besten kann: Schreiben. Damals, aber auch heute noch, können gute Leute zu wenig Karriere über eine Fachlaufbahn machen.
Auch wie wir Führungskräfte ausbilden und begleiten, hat sich komplett verändert. Mir wurde vor 20 Jahren im Hamburger Springer-Büro gesagt: „Du machst das jetzt und komm rum, wenn du Fragen hast.“ Ich weiß gar nicht, wie sehr meine Teammitglieder gelitten haben, als ich mit Ende 20 ein sehr junger unerfahrener Personalleiter war. (lacht)
Heute haben viele, nicht alle, Unternehmen verstanden: Die Führungskraft muss nicht die fachlich beste Person sein, sie muss zusammenführen, den Weg vorgeben und Talente fördern. Ganz wichtig: Der Vorgesetzte oder die Vorgesetzte muss sein/ihr Team fachlich inspirieren und motivieren.
Oliver: Welche Herausforderungen siehst du beim Thema „Remote führen“?
Thomas: 2014 habe ich bei Springer einen Tag die Woche Home Office eingeführt. Das war damals sehr exotisch (lacht). Dass die Remote-Welle im Jahr 2020 so plötzlich kam, hat viele Führungskräfte und Arbeitnehmende insgesamt überfordert. Weg von der Präsenzkultur, hin zu absolutem Vertrauen. Aber: Auch im Büro lässt sich Tetris spielen. Früher war erstens nicht alles besser und zweitens kommt früher nicht zurück. Bei dentsu bieten wir Seminare und Austauschformate für unsere Führungskräfte an, um sie bei dieser Transformation zu unterstützen.
Oliver: Bei meinem früheren Arbeitgeber wurde bereits 2009 Home Office eingeführt und Video Conferencing „gelebt“ – mit sehr positiven Effekten. Aber man hat auch gemerkt, dass durch Remote Work vieles wesentlich formalistischer geworden ist und unabsichtlich Barrieren aufgebaut wurden. Der damalige CEO saß jeden Morgen zwei Stunden mit seinem Laptop in der Gemeinschaftsküche zum Arbeiten. Selbst ein Praktikant konnte sich dazusetzen und sich Rat für sein Projekt einholen. Natürlich hätte er aber – im Home Office – nie einen Video-Call mit dem CEO aufgesetzt. An dieser Stelle ist es also besonders wichtig, entsprechende Formate zur Einbeziehung der Mitarbeitenden ins Digitale zu übertragen.
Thomas: Bei dentsu achten wir darauf, unsere Auszubildenen mindestens drei Tage die Woche vor Ort zu haben. Das sind Berufsanfänger, die müssen einfach im direkten Kontakt an die Hand genommen werden. Auch gibt es den Fall, dass jemand gut im Home Office arbeitet, aber dessen Kolleginnen und Kollegen den Austausch vor Ort brauchen. Hier ist man als Teamleitung gefragt zu moderieren.
Hier kommst du zum zweiten Teil des Gesprächs mit Thomas Wendt. Dort geht es unter anderem darum, wie man bei dentsu zur Führungskraft wird, interne vs. externe Nachbesetzungen und unpopuläre Personalentscheidungen.
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