„Du musst
Optimist sein“

Erster Teil des Gesprächs mit Uli Kramer

Ulrich Kramer ist Mit-Gründer der pilot Agenturgruppe. Im ersten Teil unseres Interviews sprechen wir über die erfolgreiche Gründung und Organisation eines Unternehmens, die Expansion der pilot-Gruppe und darüber, wie er es seit 23 Jahren als Geschäftsführer schafft, am Ball zu bleiben.

Über Uli Kramer

Ulrich Kramer schloss an der Universität der Künste in Berlin als Diplom-Kommunikationswirt ab. 1999 zählte er zu den Gründern der pilot Agenturgruppe. Dort agiert er bis heute als geschäftsführender Gesellschafter. Zusätzlich ist er seit 2016 Board Member bei Local Planet, dem weltweit größten Netzwerk unabhängiger Mediaagenturen, das von pilot mitgegründet wurde.

Oliver: Vor 23 Jahren hast du die pilot Agenturgruppe mitgegründet und bist immer noch dabei. Das ist im Digitalbusiness mehr als eine Ewigkeit. Damals gab es noch nicht mal Facebook. Amazon war noch in den Kinderschuhen. An sowas wie ein iPhone hat noch niemand gedacht. Wie hält man so lange durch? 

 Uli: Ich sehe die pilot als mein „Baby“. Und das lässt du auch nach 23 Jahren nicht einfach so los. Von der Gründung einer kleinen Agentur bis heute ist wahnsinnig viel passiert. Immer wieder gab es neue Herausforderungen und Aufgaben in der Führung des Unternehmens, so dass es nie langweilig wurde. Deshalb habe ich auch nie das Bedürfnis verspürt, die pilot zu verlassen. Ein Stück weit ist die Agentur auch mein Lebenswerk.

Oliver: Hattest du nie Lust, etwas anderes zu machen? Innerhalb der Branche – oder auch mal komplett raus? 

Uli: Eigentlich nicht. Denn das, was in den letzten 25 Jahren in der Marketing-, Werbe- und Media-Szene passiert ist, war total spannend und abwechslungsreich. Außerdem habe ich das Privileg, meine Tätigkeit innerhalb der pilot in Abstimmung mit meinen Partnern selbst gestalten zu können, wenn es mal Zeit für was Neues wird. Daher gab es nie die Notwendigkeit, nach anderen Unternehmen oder sogar anderen Branchen zu schielen. Unabhängig vom Job sollte man aber auch andere Themen haben, die einen bereichern und aufladen. Für mich waren und sind das die Fotografie, Musik und das Laufen. Wobei mein letzter Marathon ehrlicherweise schon ziemlich lange her ist.

Oliver: Nach dreizehneinhalb Jahren Performance Marketing im Unternehmen war ich froh, da rauszukommen und endlich nochmal etwas anderes machen zu können. Dir ging es also nie so?

Uli: Nein, tatsächlich nicht. Wir hatten und haben neben dem Tagesgeschäft so viele Ideen für neue Initiativen oder Geschäftsfelder – da muss man eher darauf achten, dass man sich nicht verstolpert. Aber generell haben wir eine ausgeprägte „Mach doch einfach mal“ Kultur. Angst haben wir eher vor dem Stillstand.

Oliver: Die pilot Agenturgruppe ist unabhängig und inhabergeführt, es gibt keine Konzernvorgaben und ihr könnt frei handeln. Das ist sicherlich ein Vorteil, oder?

Uli: Absolut. Zu Beginn meiner Karriere habe ich in großen Network-Agenturen gearbeitet. Damals begann gerade der New Economy Hype und die ersten Multimedia-Agenturen legten ein enormes Wachstum hin. Diesen Boom wollte ich für meine Arbeitgeber ebenfalls nutzen. Aber irgendein Controller in New York strich mir die Mittel dafür, weil es irgendwo auf der Welt gerade nicht so toll lief… Damit war das Thema „Konzern“ für mich erst mal erledigt. Die Perspektive, mit einem kleinen Kreis von Gleichgesinnten, ohne fremde Interessen und auf kurzen Wegen eine eigene Agentur zu führen, war dagegen sehr attraktiv. Deshalb haben wir uns in der pilot auch nie für Investoren geöffnet, sondern unser Wachstum immer aus uns selbst heraus finanziert.

Oliver: Wie hat sich die Art und Weise, wie du persönlich arbeitest und wie du mit anderen zusammenarbeitest, im Laufe deiner Karriere verändert? Früher war alles besser? Oder alles anders? 

Uli: Früher war sicher nicht alles besser, aber auf jeden Fall anders. Wenn „früher“ eine Pitchpräsentation anstand, konntest Du am Abend vor dem großen Auftritt nochmal alles umschmeißen. Du hast dann allein oder mit wenigen anderen Verrückten die Nacht durchgearbeitet, bist kurz duschen gegangen, ins Flugzeug gestiegen, hast präsentiert und den Etat gewonnen. Das ist heute undenkbar. Die Aufgaben sind so komplex geworden, dass viele Menschen involviert sind und ihren wichtigen Beitrag leisten. Ohne ein striktes Projektmanagement und gute Kommunikation geht da gar nichts mehr. Mit dieser Entwicklung hat sich auch die Art und Weise verändert, wie ich arbeite. Ich sehe mich heute viel mehr als Teil eines Teams von Menschen, die mich mit ihren Fähigkeiten beeindrucken. Und ich versuche, für diese Menschen die Voraussetzungen zu schaffen, damit sie glänzen können.

Oliver: Welche Aspekte aus deinem Arbeitsalltag würdest Du gerne streichen?

Uli: Mit dem Wachstum eines Unternehmens nehmen natürlich die formalen Anforderungen zu. Du musst Prozesse etablieren, nutzt immer mehr Tools, brauchst Reportings etc. So wichtig das auch ist, gebe ich zu, dass das nicht so ganz meine Welt ist.

Oliver: Ihr wart seinerzeit sicher nicht die einzigen vielversprechenden Agenturgründungen. Jetzt seid ihr noch immer da und sehr erfolgreich dazu. Viele andere sind auf der Strecke geblieben. Was habt ihr anders und besser gemacht?

Uli: Jetzt könnte ich natürlich sagen: Wir haben immer alles richtig gemacht und sind von Anfang an einer brillanten Strategie gefolgt (lacht). Stimmt aber leider nur zum Teil. Glück und Zufälle spielen eine ebenso wichtige Rolle. Wichtig ist, dass Du als Gründer Optimist bist und intelligent Risiken eingehst. Sonst kommst Du nicht weit. Und Du kannst bereits bei der Gründung definieren, in welcher Liga Du spielen willst. Es macht einen Unterschied, ob Du erst mal klein und nebenbei im Hinterhof startest oder ob Du alles für Deine Gründung gibst. Der Markt sieht und honoriert das. Und nicht zuletzt spielen natürlich die Partner, mit denen Du gründest, eine entscheidende Rolle. Hier hatte unser Hauptgesellschafter Jens-Uwe Steffens ein sehr glückliches Händchen, erfahrene Profis mit sehr unterschiedlichen Profilen zusammenzubringen. Im Kern existiert dieser Kreis bis heute.

Oliver: Was sind die schwierigsten Herausforderungen beim Aufbau und der Expansion einer Agentur – wo ist der Tipping Point wo es entweder scheitert oder erfolgreich weitergeht?

Uli: Wenn Du wächst, muss Deine Organisation mit ihren Strukturen und Prozessen dem Wachstum folgen, das Erreichte absichern und den Weg ebnen für die weitere Entwicklung. Das verlangt viel Kraft und Konzentration, denn es entspricht nicht unbedingt der „Ärmel hoch“ Mentalität des Gründers. Wichtig ist aber auch eine langfristige Perspektive, wo Du mit deinem Unternehmen hin willst. Es gibt Firmen, die nach dem Start in ein Loch fallen, weil das Ziel der erfolgreichen Gründung erreicht ist. Auch für uns war das ein kritischer Punkt. Und dann gibt es diese Momente, in denen der Markt Dir sagt, dass er mehr von Dir will und Du nicht sicher bist, ob Du das leisten kannst. Für eine erfolgreiche Weiterentwicklung sagst Du besser ja, denn der Markt fragt Dich womöglich kein zweites Mal.

Oliver: Wie bringt man Agenturen bzw. Unternehmen durch Krisen? Das, was du eben gesagt hast, klang sehr antizyklisch.

Uli: Wir sehen Krisen immer als Chance. Diejenigen, die sich etwas trauen, die langfristig denken und nicht von Konzernvorgaben zurückgehalten werden, haben in der Krise einen großen Vorteil. Eigentlich haben wir bei pilot immer von Krisen profitiert. Wenn sich unsere Wettbewerber zum Beispiel nach dem Platzen der New Economy Blase oder in der Finanzkrise 2008 zurückziehen mussten, sind wir nach vorne gegangen. Das führte mit etwas zeitlicher Verzögerung zu wichtigen Wachstumsschüben. Außerdem ist es wichtig, in Krisen Verantwortung zu übernehmen, klar Stellung zu beziehen und gut zu kommunizieren, insbesondere nach innen. So haben wir uns beispielsweise zum Beginn der Corona-Epidemie darauf festgelegt, dass wir durch diese Krise mit dem ganzen Team gehen und uns deswegen von niemanden trennen werden. Und wir haben Wort gehalten. Ein fremdbestimmtes Management kann so etwas nicht.

Oliver: Gab es auch Momente, in denen du festgestellt hast, dass ihr zu viel kommuniziert, zu transparent seid und dadurch eher Unruhe in der Gruppe provoziert?

Uli: Nein, auf keinen Fall. Wir sind sehr transparent und kommunizieren auch viel. Das ist nicht etwa ein Fehler, sondern eine wichtige Qualität für ein Unternehmen in der heutigen Zeit.

Oliver: Wann und wie entscheidet ihr, ob ihr auf einen Zug aufspringt oder ihn vorbeiziehen lasst? Beispiel Metaverse?

Uli: Wir haben einen guten Riecher für neue Themen, aber wir springen definitiv nicht auf jeden Zug auf.  Die vielfältigen Kompetenzen innerhalb der pilot erlauben es uns, neue Entwicklungen im Hinblick auf ihr Potential für unsere Kunden sehr realistisch zu bewerten. Da fallen Hype-Themen wie das Metaverse mitunter erst mal durch, bis sie eine sinnvolle Verzinsung des von unseren Kunden eingesetzten Werbe-Euros versprechen.

Oliver: Wie sieht denn die Zukunft von der pilot aus?

Uli: Ich sehe die Zukunft der pilot extrem positiv. Wir haben seit der Gründung der Agentur bewiesen, dass es einen großen Bedarf für eine unabhängige und inhabergeführte Alternative gibt, die auch die anspruchsvollsten Werbungtreibenden noch erfolgreicher machen kann. Es gibt national und international immer mehr Kunden, die in den großen Networks nicht den Service bekommen, den sie brauchen und den sie verdienen. Dort setzen wir an, mit einem breiten Leistungsspektrum und der Freude an Ideen, die den Markt bewegen.

Oliver: Das klingt nach einem komplett organischen Gedanken.

Uli: Das stimmt. Wir sind bis heute organisch aus eigener Kraft gewachsen, ganz ohne Zukäufe oder Investitionen von außen. Das sichert unsere Unabhängigkeit und soll ganz klar auch so bleiben.

Hier kommst du zum zweiten Teil des Gesprächs mit Uli Kramer. Darin geht es um Unternehmenskultur, Unternehmensführung und den richtigen Zeitpunkt für einen Generationswechsel.

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