„Wer Erfolge feiert, muss auch Verantwortung tragen.“
Erster Teil des Gesprächs mit Tobias Klaes
Tobias Klaes ist Head of Talent Acquisition beim Mediaagenturnetzwerk GroupM. Im ersten Teil unseres Gespräches reden wir über Bullshit-Bingo in Anschreiben, Quereinstiege und die unterschiedliche Arbeitskultur in Konzernen und Agenturen.
Über Tobias Klaes
Tobias Klaes war selbst knapp vier Jahre Personalberater. Danach arbeitete er erst bei Galeria Kaufhof und anschließend bei StepStone als Manager Recruiting & Employer Branding. Bei der GroupM Germany verantwortet er seit September 2021 als Head of Talent Acquisition das Recruiting der Agenturgruppe.
Oliver: Hallo Tobias, was war die kreativste Bewerbung, die du jemals erhalten hast?
Tobias: Bei Kaufhof hatte ich einen Kreativjob ausgeschrieben und bekam ein Paket, eingepackt in Geschenkpapier und sogar mit Schleife. Innen waren die Bewerbungsunterlagen und wilde Fotos (lacht). Wir haben den Kandidaten eingeladen, aber es ist nichts daraus geworden.
Oliver: War der Kandidat auch so kreativ wie seine Bewerbung?
Tobias: Absolut! Jedoch hätte er zu viel Freiraum in der Umsetzung seiner Ideen gebraucht. Damit hat er leider nicht in die doch sehr „konzernige Umgebung“ von Kaufhof gepasst. Aber es war ein spannendes Gespräch!
Oliver: Was ist dir wichtig bei einer Bewerbung?
Tobias: Wie wohl jedem Recruiter vor allem der Lebenslauf. Ich muss verstehen, was die Person gemacht hat, ohne mich durch 40 Seiten zu arbeiten. Stärken oder Verantwortungen sollten klar erkennbar sein. Bitte aber keinen One-Pager, das ist dann doch zu reduziert.
Oliver: Wie sieht es mit dem Anschreiben aus?
Tobias: Im Anschreiben findest du meist ein Bullshit-Bingo mit den immergleichen Phrasen. Nur wenn der Lebenslauf Fragen offenlässt oder eine Person nach kurzer Zeit wieder den Arbeitgeber wechseln will, schaue ich in das Anschreiben, um zu erfahren, warum sie oder er wechseln möchte. Ein fünfminütiges Telefonat gibt mir aber in der Regel mehr Aufschluss als das Anschreiben.
Oliver: Googlest du Kandidatinnen und Kandidaten?
Tobias: Das kommt auf die gesuchte Position an. Wen ich jemanden für Social-Media suche, schaue ich mir natürlich den Social-Media-Auftritt der Person an. Oder den Auftritt des Unternehmens, wenn sie oder er für diesen verantwortlich ist. LinkedIn und Xing nutze ich eher ergänzend, da teils die Grenze zwischen Selbstvermarktung und Verantwortung verschwimmt.
Oliver: Ich schaue grundsätzlich immer bei LinkedIn und Xing rein: Im zugesendeten CV kannst du vieles hinzudichten – die Lebensläufe auf LinkedIn und Xing sind aber öffentlich. Da kannst du keinen Mist reinschreiben.
Deine letzten beiden Stationen waren Galeria Kaufhof und StepStone. Nun bist du bei GroupM. Wie unterscheidet sich die Kultur und Zusammenarbeit in den Unternehmen?
Tobias: Der Unterschied ist riesig. Kaufhof (jetzt Galeria) ist ein Traditionsunternehmen und durch den Einzelhandel geprägt mit vielen lokalen Unterschieden. Ich habe mich damals für Kaufhof entschieden, weil nach der Übernahme durch HBC (Hudson’s Bay Company) eine Aufbruchsstimmung aufkam und ich dachte, hier kann ich etwas bewegen. Die Größe brachte aber auch viele Prozesse und klare Leitplanken mit sich (lacht).
GroupM zeichnet sich vor allem durch den Netzwerkgedanken aus. Wir arbeiten sehr stark bereichsübergreifend und tauschen laufend Ideen aus. Man will gemeinsam etwas erreichen, deswegen nimmt man sich füreinander viel Zeit. Es geht weniger um den Prozess als um das Ziel: Was ist es und wie kommen wir dahin?
Oliver: Hilft dir deine Konzernerfahrung im Agenturumfeld?
Tobias: Ja, bei der Verantwortung. Bei Kaufhof war klar, wer den Hut aufhat und was die Erwartungen sind. Das finde ich wichtig. Bei GroupM versuche ich bei aller agilen Problemlösung, Strukturen zu etablieren, die uns bei wiederkehrenden Problemen das Leben erleichtern.
Oliver: Verantwortung ist ein schönes Stichwort. In den Unternehmen, in denen ich gearbeitet habe, waren wir sehr frei, agil und selbstorganisiert unterwegs. Aber wenn mal etwas richtig schief lief, war niemand verantwortlich. Man sprach zwar immer von einer offenen Fehlerkultur, aber niemand will einen Fehler gemacht haben – und es wurde dementsprechend auch nicht kritisch reflektiert. Ich halte das aber für extrem wichtig, um die Menschen – und das Unternehmen – weiterzuentwickeln. Ich plädiere nicht dafür Leute rauszuschmeißen, aber denke als Führungskraft hat man die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich vermeidbare Fehler nicht wiederholen.
Tobias: Fehler passieren und eine aktive Fehlerkultur ist wichtig, um zu lernen. Wer Erfolge feiert, muss aber auch Verantwortung tragen. Gerade wer Führungskraft werden will, braucht diese Kernkompetenz.
Oliver: Kannst du dir überhaupt noch vorstellen, in einem Konzern wie Kaufhof zu arbeiten, nach deinen Erfahrungen bei StepStone und GroupM?
Tobias: Unternehmen ist nicht gleich Unternehmen und Agentur nicht gleich Agentur. Ich brauche eine Vision, die mich begeistert. Ich habe kein Interesse an einem Unternehmen, dass einfach nur mehr Leute braucht. Bei GroupM habe ich die Vision, wohin das Unternehmen will, und eine perfekte Mischung aus Pragmatismus und Struktur.
Oliver: Gibt es denn einen Unterschied bei den Menschen, die sich bei Agenturen oder Unternehmen bewerben?
Tobias: Da bin ich vorsichtig. Manche arbeiten in großen Unternehmen mit sehr statischen Strukturen, haben aber richtig Lust, etwas Neues zu machen. Hiermit habe ich schon tolle Erfahrungen gemacht. Grundsätzlich würde ich aber sagen: Wer sich bei einer Agentur oder einem agilen Unternehmen bewirbt, will selbst etwas bewirken und sucht Flexibilität sowie einen weniger formelleren Umgang.
Oliver: Lehnst du denn Kandidatinnen und Kandidaten ab, die zu lange in einem Konzern gearbeitet haben oder bei einem Unternehmen, welches augenscheinlich eine ganz andere Kultur hat als ihr?
Tobias: Nicht unbedingt. Wenn jemand aber 25 Jahre im selben Unternehmen in derselben Position gearbeitet hat, gibt es schon mal Fragezeichen. Hier muss man beim Gespräch klar zeigen, was einem in einer Agentur erwartet. Passt du zu uns? Wirst du mit unserer Arbeitsweise glücklich? Extrem skeptisch bin ich bei den Kandidatinnen und Kandidaten, die alle sechs Monate den Arbeitgeber wechseln. Es ist schon lange keine Pflicht mehr x Jahre in einem Unternehmen zu bleiben, eine gewisse Stetigkeit schadet jedoch nicht.
Oliver: Oft gab es bei Mediaagenturen in der Vergangenheit den Spruch: „Bitte keine Kandidatinnen und Kandidaten vom Vermarkter. Die sind zu langsam und nicht agil.“ Diese Allergie hat sich nun auch gelegt.
Tobias: Da bin ich ganz bei dir. Wenn wir uns jetzt den perfekten Mediaberater malen könnten, hätte sie oder er fünf Jahre Berufserfahrung bei der direkten Konkurrenz, kennt den Markt und die Kunden. Aber das ist halt nicht die Realität. Im Recruiting haben wir die Aufgabe, in potenziellen Mitarbeitenden zu erkennen, wo Potenziale liegen und welche Erfahrungen sich übertragen lassen. Wir müssen die Fachabteilungen sensibilisieren, andere berufliche Hintergründe als Mehrwert zu nutzen, um neue Perspektiven zu öffnen.
Oliver: Wie oft kommt es da denn zum „Konflikt“ – beispielsweise, wenn du aus den Bewerbungen einen „Exoten” aus einer anderen Branche empfiehlst, der Fachbereich aber sagt, mit dem können wir nichts anfangen.
Tobias: Pauschal schwierig zu sagen, aber ich merke einen klaren Trend: Wir stellen mittlerweile viel stärker nach Potenzial und Motivation ein. Fachkenntnisse sind wichtig, aber viele Skills können wir motivierten Mitarbeitenden schnell beibringen. Im Digital- und Mediabereich haben wir rund 80 Leute über unser Quereinsteigprogramm in 2022 reingeholt, die vorher mit den Branchen nichts am Hut hatten. Wir machen die Leute selbst fit, wenn der Markt sie nicht von selbst liefert. Für meinen Geschmack werden mir aber noch einige Profile, die ich für passend halte, von den Fachabteilungen abgelehnt. Aber es wandelt sich und wir sind auf dem richtigen Weg.
Oliver: Wenn ihr Quereinsteigerinnen und -einsteiger anstellt: Sperrt ihr sie zwei Wochen in einen Raum und macht sie agenturfit oder läuft das über Fachprogramme?
Tobias: Beides (lacht). Es kommt immer auf die Vorerfahrung an. Wir haben Quereinstiegsprogramme, in denen wir im Klassenraum über Vorträge und Workshops Inhalte vermitteln, beginnend mit „Was ist Media?“. Danach geht es dann ins praktische Lernen in der Unit. Andere Programme sind stärker Training-on-the-Job und werden durch E-Learning sowie regelmäßige Seminare unterstützen.
Wichtig ist es aber jeden kulturell abzuholen – zu zeigen, wie wir zusammenarbeiten. Die Art der Führung ist in Agenturen viel persönlicher. Agenturbusiness ist People Business. Du kannst dich nicht abschotten und dein eigenes Ding machen.
Oliver: Hast du schon einmal gegen die aktuelle Kultur rekrutiert, um einen Wandel voranzutreiben?
Tobias: In „mein“ Team hole ich Leute, deren Qualitäten ich noch nicht im Team habe und die uns damit weiterbringen. In den Fachbereichen entscheiden die dortigen Leiterinnen und Leiter, wen sie letztendlich einstellen. Hier kann ich aber beraten. In manchen Bereichen haben wir haben viele Mitarbeitende, die eher extrovertiert – im positiven Sinne – und kreativ sind. Da empfehle ich bei Neueinstellungen auf strukturgebende Qualitäten zu achten.
Oliver: Funktioniert aus deiner Erfahrung denn überhaupt ein Kulturwandel durch Recruiting? Oder muss das über die aktuellen Mitarbeitenden geschehen?
Tobias: Ich halte beides für möglich. Manchmal hole ich bewusst jemanden von außen, der für das Thema XY steht und es voranbringen soll und nicht „belastet“ ist von internen Prozessen. Aber Kultur ist ein sensibles Thema. Wer einen Wandel auf Teufel komm raus durchzieht, wird immer auch Mitarbeitende verlieren. Kommunikation und Mitnahme der bestehenden Mitarbeitenden ist hier Pflichtaufgabe.
Oliver: Kulturwandel ist in meinem Executive Search-Alltag ein riesiges Thema. Ich erlebe häufig, dass die Geschäftsführung etwas bewegen will und entsprechende Führungskräfte akquiriert. Dann aber stellt sich die Belegschaft quer – und/oder die Gesellschafter. Das ist frustrierend und zeigt, dass Transformation oft nur im Mission Statement existiert. Das sage ich meinen Mandanten dann auch so offen.
Tobias: Eine externe Brille ist eine ehrliche Brille. Ich denke, für einen Kulturwandel benötigt ein Unternehmen Leitpersonen auf allen Ebenen, die die anderen Mitarbeitenden mitnehmen.
Hier kommst du zum zweiten Teil des Gesprächs mit Tobias Klaes.
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